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Sascha Büttner
Wie die Kunst des Innehaltens dein Leben verzaubert
Mitten im Alltag Stille finden, die jeden Stress verstummen lässt. In wenigen bewussten Atemzügen zur inneren Ruhe finden – zu uns selbst. Das ist keine Utopie, sondern die vergessene Kunst des Innehaltens: die Fähigkeit, mitten in der Bewegung zur Ruhe zu kommen. Es ist jenes paradoxe Wirken ohne Widerstand, das wie Wasser sanft und doch unaufhaltsam seinen Weg findet – eine natürliche Intelligenz, die mehr erreicht, indem sie weniger erzwingt. Eine Reise zurück zu dem, was wir im Innersten sind: Glücklich.
Der Aufbruch: Wenn das Leben an einem vorbeirauscht
Es ist ein Gefühl, das viele kennen: Man lebt in einem Leben, das nicht wirklich das eigene zu sein scheint. Als würde man durch den Alltag hetzen wie ein Fremder, der nach dem Weg sucht. Immer öfter begegne ich Menschen, die sagen: “Ich komme nicht mehr zur Ruhe.” “Ich spüre mich selbst nicht mehr.” “Irgendwann war ich mal glücklich – aber wann? Und was war das für ein Gefühl?”
Wer kennt nicht diese Sehnsucht nach einem Glück, das sich nicht (mehr) greifen lässt? Dieses Gefühl, als hätte man irgendwo auf dem Weg eine Quelle der Freude verloren – aber man weiß nicht, was es war oder wo sie zu finden wäre? Diese Sehnsucht lädt zu einer besonderen Reise ein. Einer Reise zurück zu sich selbst. Zu dem Menschen, der wir waren, bevor äußere Erwartungen unser Bild vom Glück formten. Zu einer Fähigkeit, die tief in uns schlummert und nur darauf wartet, wiederentdeckt zu werden: die Kunst des Innehaltens.
Die erste Station: Was ist verloren gegangen?
Stellen wir uns vor, wir könnten für einen Moment aus dem Strom der Zeit heraustreten. Das eigene Leben von außen betrachten. Was würden wir sehen? Einen gehetzten Menschen? Jemanden, der funktioniert? Der auf Autopilot durch den Tag navigiert? Das, was wir verloren haben, ist nicht irgendeine Technik oder Methode. Es ist eine Art des Seins. Eine Qualität der Aufmerksamkeit. Die Fähigkeit, wirklich da zu sein – bei sich selbst, in diesem Moment, in diesem einen kostbaren Leben, das einem geschenkt wurde. Es ist das Geheimnis eines Glücks, das nicht von äußeren Umständen abhängt, sondern aus der Tiefe des eigenen Seins entspringt.
Innehalten ist wie nach Hause kommen. Es ist die Rückkehr zu einer Stille, die alle Gedanken zur Ruhe bringt. Zu einem Ort in uns, der unverletzlich ist. Der immer da war und immer da sein wird. Thich Nhat Hanh bringt es auf den Punkt: “Der kostbarste Moment ist der jetzige Moment. Das wertvollste Wesen bist du, so wie du bist. Das Wichtigste ist es, dich glücklich zu fühlen, denn Glück wird durch deine Ruhe und deinen Frieden bestimmt.” Doch wann waren wir das letzte Mal gegenwärtig? Nicht nur physisch anwesend, sondern ganz da – mit Haut und Haaren, mit Herz und Seele?
Die Landkarte der inneren Welt
Bevor es weitergeht, lohnt es sich innezuhalten. Hier. Jetzt. Nicht als Übung, sondern als Akt der Selbstfürsorge. Als erste, zaghafte Berührung mit dem, was du wiederentdecken möchtest. Nimm drei bewusste Atemzüge. Spüre, wie sich deine Bauchdecke hebt und senkt. Das ist bereits ein kleines Wunder: Du atmest, ohne dass du daran denken musst. Dein Herz schlägt, ohne dass du es kontrollierst. Leben geschieht in dir, durch dich.
Was beim Innehalten im Körper geschieht, ist mittlerweile wissenschaftlich gut erforscht. Stresshormone werden reduziert, das Nervensystem beruhigt sich, Gene werden aktiviert, die für Heilung und Regeneration zuständig sind. Aber das ist nur die messbare Oberfläche eines viel tieferen Geschehens. In der Stille berühren wir eine Dimension von uns selbst, die jenseits von Leistung, Bewertung und Funktionieren liegt. Einen Ort, an dem wir nicht besser werden müssen, weil wir bereits vollständig sind. Hier finden wir ein Glück, das nicht erobert werden muss, sondern einfach da ist – ruhig, beständig, unerschütterlich.
Der erste Schritt: Heimkehr in den eigenen Körper
Die Reise zu sich selbst beginnt dort, wo wir immer waren, aber selten bewusst angekommen sind: im eigenen Körper. Er ist unser treuer Begleiter, und doch behandeln wir ihn oft wie einen störenden Fremden. Der Atem ist die Brücke zwischen dem, was automatisch geschieht, und dem, was wir bewusst beeinflussen können. Dreimal tief einatmen kann uns aus dem Gedankenkarussell herauskatapultieren und zurück in den Moment bringen. Nicht als Technik, sondern als Heimkehr.
Man muss nicht stillsitzen, um innezuhalten. Beim Gehen kann jeder Schritt bewusst gesetzt werden. Beim Aufstehen lässt sich spüren, wie sich der Körper aufrichtet. Bewegung wird zur Meditation, wenn sie von Aufmerksamkeit getragen wird. Die fünf Sinne sind Tore zur Gegenwart. Der Geschmack des Kaffees am Morgen. Das Geräusch des Regens am Fenster. Die Berührung warmer Sonnenstrahlen auf der Haut. Jeder Sinn kann uns nach Hause bringen.
Die zweite Etappe: Rückkehr zur natürlichen Zeit
Unsere Gesellschaft hat eine unnatürliche Beziehung zur Zeit entwickelt. Wir leben, als gäbe es ein Rennen zu gewinnen, einen Wettbewerb um das schnellste, produktivste, erfolgreichste Leben. Die Natur folgt einem anderen Rhythmus. Sie lebt in Zyklen. Bäume hetzen nicht zur Blüte. Vögel machen sich keine Sorgen über den Winter. Sie vertrauen dem Rhythmus des Lebens.
Bewusste Pausen von digitalen Geräten einbauen. Nicht als Strafe, sondern als Geschenk. Eine Stunde am Morgen, ein Abend pro Woche. Spüren, wie sich das Nervensystem entspannt, wenn es nicht ständig neue Informationen verarbeiten muss. Die Natur ist der beste Lehrer für das Innehalten. Fünf Minuten unter einem Baum können mehr bewirken als eine Stunde Grübeln. Die Erde unter den Füßen erinnert daran, dass man Teil von etwas Größerem ist. Kleine Inseln der Entschleunigung im Tag erschaffen. Den Kaffee, den Tee trinken, ohne dabei etwas anderes zu tun. Bewusst duschen. Langsamer gehen. Jede bewusste Verlangsamung ist ein liebevoller Akt der Selbstfürsorge in einer schnelllebigen Welt.
Das Herz der Reise: Die Begegnung mit sich selbst
Wer sich dem Innehalten öffnet, begegnet nach und nach jemandem, den er oder sie vielleicht lange nicht gesehen hat: sich selbst. Nicht dem funktionierenden, leistenden, perfekten Ich, sondern dem Menschen, der wir im Kern sind. Diese Begegnung kann zunächst ungewohnt sein. Vielleicht werden Gefühle entdeckt, die lange verdrängt wurden. Träume, die aufgegeben wurden. Sehnsüchte, die für unpraktisch erklärt wurden. Und möglicherweise zeigt sich auch eine stille Freude, die keinen Grund braucht – ein Glück, das unmittelbar aus dem Sein selbst erwächst.
Kleine Zeiten der Selbstbetrachtung zu schaffen, lohnt sich. Nicht zum Analysieren oder Optimieren, sondern zum Da-Sein. Zehn Minuten am Morgen, in denen wir einfach sein dürfen, ohne Agenda. In einer Welt der ständigen Geschäftigkeit ist bewusstes Nichtstun und Innehalten ein wertvolles Geschenk. Manchmal still dasitzen. Aus dem Fenster schauen. Den Geräuschen des Lebens zuhören. Die Schönheit der Leere entdecken.
Die Verwandlung: Wenn das Leben verzaubert wird
Was geschieht auf dieser Reise? Eine sanfte Verwandlung setzt ein. Das Innehalten schafft einen kostbaren Raum zwischen Impuls und Handlung. Wir entwickeln die Fähigkeit, bewusst zu antworten, statt automatisch zu reagieren. Das ist müheloses Handeln in seiner reinsten Form – Antworten aus der Stille heraus. Situationen, die uns früher aus der Bahn geworfen hätten, begegnen wir mit Gelassenheit. Möglichkeiten werden erkannt, die vorher verborgen blieben.
Menschen in unserem Umfeld spüren die Veränderung. Wir strahlen eine Ruhe aus, die ansteckend wirkt. Das Leben wird mit einer neuen Qualität erlebt: Wir nehmen plötzlich Geschmacksnuancen wahr, die uns früher entgangen sind. Wir hören die Zwischentöne in Gesprächen, wir spüren, was uns guttut.
Das Leben wird buchstäblich verzaubert – nicht durch spektakuläre Ereignisse, sondern durch die Art, wie wir den alltäglichen Momenten begegnen. Das ist das wahre Glück: nicht das laute, aufgeregte, sondern das stille, tiefe, das aus der bewussten Berührung mit dem Moment erwächst.
Die Ankunft: Das Paradox der Heimkehr
Das Schöne an dieser Reise ist: Wir kommen dort an, wo wir immer waren. Bei uns selbst. Im gegenwärtigen Moment. In diesem einen kostbaren Leben. Aber jetzt sind wir bewusst dort. Wir sind nicht mehr nur Mitreisende im eigenen Leben, sondern übernehmen das Steuer. Wir wählen, wem und was wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Das Innehalten wird zu einer natürlichen Gewohnheit. Wie das Atmen. Wie das Herzschlagen. Es geschieht von selbst, weil wir erkannt haben: Es ist nicht eine Sache, die wir tun. Es ist eine Art, wie wir sind.
Die eigene Reise beginnen
Jede große Reise beginnt mit einem ersten, kleinen Schritt. Dieser könnte sein: Ein bewusster Atemzug beim Aufwachen. Ein Moment der Dankbarkeit beim ersten Schluck Kaffee. Ein achtsamer Schritt vor die Haustür. Es braucht keine besonderen Umstände, keine Ausrüstung, keine Erlaubnis. Wir brauchen nur den Mut, anzuhalten. Hier. Jetzt. In diesem Moment.
Die Reise zu sich selbst ist die wichtigste Reise, die wir je unternehmen werden. Denn sie führt uns nicht weg von unserem Leben – sie führt uns tiefer hinein. Welcher Moment heute könnte der Beginn dieser Reise werden? Was würde sich verändern, wenn wir nicht mehr vor uns selbst davonlaufen, sondern endlich ankommen? Das Glück, nach dem wir suchen, wartet nicht am Ende eines weiten Weges. Es ist hier, in diesem Atemzug, in diesem Herzschlag, in diesem einen kostbaren Moment der Berührung mit dem, was wir im Innersten sind. Es war nie verloren – es wartete nur darauf, dass wir innehalten und es wiederentdecken.
Reiseproviant: Übungen für unterwegs
Die Ankunfts-Übung:
Bevor du eine neue Aktivität beginnst, nimm einen bewussten Atemzug und frage dich: “Bin ich hier?”
Die Dankbarkeits-Pause:
Halte beim ersten Bissen deines Essens inne und würdige diesen Moment der Nährung.
Der Übergangs-Atem:
Zwischen zwei Terminen, zwei Gedanken, zwei Handlungen – ein bewusster Atemzug als Brücke.
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Über den Autoren Sascha Büttner:

Als systemischer Coach (FH) und Trainer in der Arbeitswelt (DCA) begleitet er Führungskräfte und Teams dabei, authentische Präsenz zu entwickeln. Seine Arbeit verbindet westliche Coaching-Methoden mit östlichen Weisheitstraditionen – er ist zertifizierter Taijiquan- und Qigong-Lehrer (DDQT). In seinen Büchern widmet er sich der Frage: Wie finden wir zu uns selbst zurück? Seine Überzeugung: Gute Führung beginnt mit der behutsamen Führung des eigenen Lebens.
Webseite: www.saschabuettner.com
Beitragsbild: © Fabian Reitmeier — pexels.com
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