Hochsensibilität trifft Narzissmus – zwischen Empathie und Manipulation

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Christina Benner

Der Ausweg aus narzisstischer Gewalt

Da sowohl Hochsensibilität als auch Narzissmus unter den Menschen ähnlich verteilt ist, wechsle ich immer wieder mit der männlichen und weiblichen Form ab. Es sind aber immer beide Geschlechter gemeint!

Ich freue mich, in diesem Artikel über die Zusammenhänge zwischen Hochsensibilität und den Opfern von narzisstischer Gewalt berichten zu können. Beides sind Schwerpunkte in meiner Praxis und beides sind absolute Herzensthemen, die sowohl mich als auch meine Klienten schon sehr lange begleiten.

Dieser Artikel ist für Menschen gedacht, die sich fragen: Warum immer ich? Weshalb bekomme ich immer solche Typen/diese Biester ab? Denn ein Phänomen ist unumstritten: Narzissten begegnen uns nicht nur einmal im Leben, sondern kehren immer wieder zurück – meist von einer unverhofften Seite.

Andere haben weniger mit solchen negativen Erfahrungen wie Manipulation, Erniedrigung und Verunsicherung zu tun. Wieso ist das so? Und weshalb trifft es ausgerechnet die Zartbesaiteten so häufig? Ein spannendes Thema, bei dem ich gerne aus meiner langjährigen Erfahrung berichte.

Bevor wir in das Thema einsteigen, sollte erst einmal geklärt werden, was unter Hochsensibilität sowie narzisstischer Gewalt zu verstehen ist.

Definition von Hochsensibilität

Hochsensibilität (HS), auch bekannt als sensorische Verarbeitungssensitivität, ist ein Persönlichkeitsmerkmal. Hochsensible Personen (HSPs) zeichnen sich durch eine intensivere Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen aus der Umwelt aus. Es ist also eine Wahrnehmungshochbegabung – eine, wie ich es gerne bezeichne – Hochbegabung mit Pferdefuß (dazu später mehr).

Hier sind einige zentrale Merkmale:

Tiefe Verarbeitung von Informationen: HSPs neigen dazu, Informationen tiefgründiger und detaillierter zu verarbeiten als andere Menschen. Sie denken über Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen intensiv nach und analysieren sie.

Starke Reaktion auf Reize: HSPs reagieren stärker auf sensorische Reize wie Licht, Geräusche und Gerüche. Diese Reize können sie leicht überfordern und zu Stress führen.

Emotionale Intensität: Hochsensible Menschen erleben Emotionen intensiver und empathischer. Sie können die Gefühle anderer Menschen oft sehr gut nachempfinden (mitunter auch stellvertretend empfinden) und reagieren stark auf emotionale Stimuli.

Feinfühligkeit für subtile Reize: HSPs bemerken subtile Veränderungen in ihrer Umgebung, die anderen entgehen. Diese Sensibilität kann sich auf körperliche, emotionale und soziale Reize beziehen.

Definition von narzisstischer Gewalt

Narzisstische Gewalt ist eine Form des emotionalen Missbrauchs, die von Personen mit narzisstischen Persönlichkeitsmerkmalen oder einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ausgeübt wird. Narzissmus ist durch ein übertriebenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit oder des Machtgefälles, ein tiefes Bedürfnis nach Bewunderung und einen Mangel an Empathie gekennzeichnet.

Hier sind einige zentrale Merkmale narzisstischer Gewalt:

Manipulation und Kontrolle: Narzissten nutzen manipulative Taktiken, um ihre Opfer zu kontrollieren und ihren eigenen Willen durchzusetzen. Dazu gehören Gaslighting (kann auf dt. übersetzt werden als: psychische Manipulation, Realitätsmanipulation), emotionale Erpressung, Induktion von Schuldgefühlen, Verdrehen von Tatsachen u.v.a.m. Da die Manipulation meist sehr subtil vonstattengeht, ist sie für das Umfeld oft komplett unsichtbar und lässt das Opfer ratlos zurück.

Entwertung und Kritik: Narzissten neigen dazu, ihre Opfer ständig zu kritisieren und zu entwerten. Diese ständige Abwertung schwächt das Selbstwertgefühl der Betroffenen und macht sie handlungsunfähig und abhängig vom Narzissten.

Isolierung: Narzissten isolieren ihre Opfer häufig von Freunden und Familie, um ihre Kontrolle zu verstärken. Diese Isolation macht es den Opfern schwer, Unterstützung zu finden und sich aus der missbräuchlichen Beziehung zu lösen.

Unvorhersehbarkeit und Stimmungsschwankungen: Narzissten zeigen oft unvorhersehbare und launische Verhaltensweisen, die ihre Opfer in ständiger Unsicherheit und Angst halten. Diese Stimmungsschwankungen sind ein weiteres Mittel, um Kontrolle auszuüben.

Wie kommen die Hochsensiblen denn nun in die Fänge narzisstischer Menschen und wieso verharren sie dort bzw. treffen immer weitere an? Auf den ersten Blick lässt sich kein Zusammenhang feststellen. Für eine Antwort sollten wir uns die einzelnen Gruppen noch genauer ansehen.

Hochsensibilität – Merkmale und Symptome

Hochsensible sind Menschen wie alle anderen auch, das bedeutet, sie verfügen über die gleiche Kapazität wie andere Menschen, innere Prozesse zu verarbeiten. Da auf sie aufgrund schwächerer Wahrnehmungsfilter jedoch viel mehr Informationen einströmen, kann es zu einem emotionalen Overload, der sog. Überstimulation, führen.

Hier sind einige zentrale Merkmale und Symptome:

Überreizbarkeit (Überstimulation): HSPs sind besonders anfällig für Reizüberflutung, sei es durch laute Geräusche, helle Lichter, Menschenmengen oder komplexe soziale Situationen.

Tiefe Verarbeitung: HSPs neigen dazu, Informationen tief und detailliert zu verarbeiten, was oft zu intensiven Gedanken und Reflexionen führt. Dadurch benötigen sie aber auch mehr Zeit, um Dinge zu verarbeiten, was meist einen Rückzug erfordert.

Emotionale Intensität: HSPs erleben Emotionen sehr intensiv, sowohl positive als auch negative. Sie schweben damit oft zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, was für sie (und mitunter auch das Umfeld) sehr anstrengend ist. Ihre hohe Empathie macht sie darüber hinaus anfällig für eine große Fürsorge und Erfüllung der Bedürfnisse anderer – und dem Vernachlässigen der eigenen.

Empfindlichkeit gegenüber Feinheiten: HSPs bemerken subtile Veränderungen in ihrer Umgebung und sind oft sehr aufmerksam gegenüber Details, die anderen entgehen könnten. Das kann dazu führen, dass ihnen fehlende Authentizität oder schlecht versteckte Unsicherheit im Gegenüber sofort ins Auge sticht und für Irritation sorgt. Damit steigt das Stresslevel im HSP.

Starke Reaktion auf Kritik: HSPs reagieren oft sehr stark auf Kritik und können sich schnell entmutigt oder verletzt fühlen. Da HSPs meist mit Sätzen wie „Sei nicht so anstrengend!“, „Nimm doch nicht alles so persönlich!“ und „Mach jetzt kein Drama draus!“ aufwachsen, haben sie es deutlich schwerer, einen stabilen Selbstwert aufzubauen. Durch die emotionale Intensität trifft sie v.a. Ungerechtigkeit tief und löst starke Wellen aus.

Wissenschaftliche Erklärungen und Modelle

Die wissenschaftliche Erforschung der Hochsensibilität wurde maßgeblich von der Psychologin Dr. Elaine N. Aron gut vorangetrieben. Daneben verdanken wir wichtige Erkenntnisse Iwan Pawlow, Carl Gustav Jung, Alice Miller und anderen (G. Parlow – „Zart besaitet“, 2015).

Einige zentrale wissenschaftliche Erklärungen und Modelle sind:

Sensorische Verarbeitungssensitivität (SPS): Dieses Konzept beschreibt Hochsensibilität als eine tiefere neuronale Verarbeitung sensorischer Informationen. Studien haben gezeigt, dass bei HSPs bestimmte Gehirnregionen, wie das insuläre Cortex und das Spiegelneuronensystem, stärker aktiviert sind.

Genetische Faktoren: Es gibt Hinweise darauf, dass Hochsensibilität teilweise genetisch bedingt ist. Gene, die mit der Regulation von Serotonin und anderen Neurotransmittern in Verbindung stehen, könnten eine Rolle spielen. Hochsensibilität trifft man auch immer wieder in der nächsten oder übernächsten Generation einzelner Familien an.

Evolutionäre Perspektive: Hochsensibilität wird als evolutionär vorteilhaft angesehen, da hochsensible Individuen durch ihre erhöhte Wachsamkeit und Vorsicht potenzielle Gefahren besser erkennen und vermeiden können.

Prävalenz in der Bevölkerung

Schätzungen zufolge sind etwa 10-20% der Menschen hochsensibel, allerdings gibt es HS nicht nur bei Menschen, sondern auch im Tierreich. Dieses Merkmal ist geschlechtsunabhängig und kommt in allen Kulturen vor. Die Verteilung scheint gleichmäßig zu sein, wobei Hochsensibilität in verschiedenen kulturellen Kontexten unterschiedlich ausgeprägt und wahrgenommen wird.

Beispiele für Hochsensibilität im Alltag

Hochsensibilität kann sich in verschiedenen Lebensbereichen manifestieren:

Beruf: Ein HSP in einem hektischen Großraumbüro könnte Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, während ein ruhiger, weniger stressiger Arbeitsplatz förderlich wäre.

Soziale Interaktionen: HSPs können von intensiven sozialen Interaktionen schnell ermüdet sein und benötigen mehr Zeit für sich allein, um sich zu erholen.

Kunst und Kreativität: Viele HSPs haben ein tiefes ästhetisches Empfinden und eine starke Affinität zu Kunst, Musik und Literatur. Sie können tief von kreativen Prozessen und künstlerischen Ausdrucksformen berührt werden.

Naturverbundenheit: HSPs genießen oft die Natur intensiver und finden in natürlichen Umgebungen Ruhe und Erholung. Ein Spaziergang im Wald kann für sie besonders erholsam und revitalisierend sein.

Empathie und Mitgefühl: HSPs sind oft in helfenden Berufen zu finden, wie z.B. in der Pflege, Psychotherapie oder Sozialarbeit, da sie eine starke Fähigkeit haben, sich in andere Menschen einzufühlen und deren Bedürfnisse zu erkennen.

Zusammengefasst: Hochsensible werden oft von klein auf nicht in ihren Bedürfnissen gesehen, stattdessen müssen sie sich verbiegen, um Teil der Gruppe bleiben zu können oder zu müssen. Das ist nicht nur selbstwertschädigend, sondern kann zu tief verankerten Glaubenssätzen führen: „Nur wenn ich mich so verhalte, wie andere sich das wünschen (es brauchen), dann werde ich geliebt und akzeptiert.“ Eine Sehnsucht bleibt jedoch: so gesehen zu werden, wie sie wirklich sind. Und hier kommt die narzisstische Person ins Spiel.

Was ist Narzissmus?

Wenn ich von Narzissmus spreche, so meine ich narzisstisches Verhalten, genau genommen: narzisstische Gewalt. Mir ist wichtig zu betonen, dass es nicht darum geht, Menschen als Narzissten abzustempeln. Vielmehr geht es mir darum, Menschen zu schützen, die durch narzisstische Weise missbraucht worden sind.

Narzisstische Verhaltensweisen zeigen folgende Merkmale:

Mangel an Empathie: Eine Narzisstin kann sich mit füchsischer Schläue, jedoch ohne Emotionen, in andere Menschen einfühlen und sich das zu Nutze machen. Wahre Liebe zu empfinden ist ihr jedoch nicht möglich.

Selbstbeweihräucherung: Alle Formen von Narzissmus (auch die verdeckten, weiblichen etc.) zeigen ein Bedürfnis nach Machtgefälle. Entweder sie erheben sich über andere, weil sie „einfach besser sind“ und dies auch gerne verkünden. Oder sie sind permanent gekränkt, weil andere eben nicht bemerken, wie „haushoch überlegen“ sie allen sind. Diejenigen Narzissten, die merken, dass sie genau genommen mit anderen nicht mithalten können, erniedrigen ihr Gegenüber, bis es schwach und klein ist.

Manipulation: In unserer Gesellschaft sind einige Manipulationstechniken von Narzisstinnen bekannt. Allerdings verwendet nicht jede Narzisstin die gleiche Technik. Bekannte Manipulationen sind: Schuldumkehr, induzierte Schuldgefühle, Love-Bombing, Liebesentzug u.v.w.m.

Fanclub vs. Feindclub: Narzissten denken nicht in Grautönen – entweder man ist für sie (und zwar mit Haut und Haar) oder man ist gegen sie. Dabei reicht es schon aus, wenn man nicht schnell genug in den Applaus miteinsteigt, um gegen sie zu sein und um von ihnen aussortiert zu werden. Narzissten umgeben sich dabei gerne mit Menschen, die einerseits etwas darstellen (mit denen man also glänzen kann), die andererseits aber keine Bedrohung sind.

Narzisstische Gewalt

Narzisstische Gewalt ist eine Form des emotionalen und psychologischen Missbrauchs, die subtil und heimtückisch sein kann, und daher oft übersehen wird.

Narzisstische Gewalt ist nicht nur auf offensichtliche Handlungen wie Beschimpfungen oder Demütigungen beschränkt. Sie kann sich auch in manipulativen Verhaltensweisen, Kontrollen und dem ständigen Bedürfnis nach Bewunderung und Aufmerksamkeit äußern. Narzissten neigen dazu, Menschen in ihrem Umfeld zu manipulieren und zu kontrollieren, um ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen, oft ohne Rücksicht auf die Gefühle und Bedürfnisse anderer.

Ein zentrales Merkmal der narzisstischen Gewalt ist das Gaslighting. Hierbei werden die Wahrnehmungen und Erinnerungen des Opfers so manipuliert, dass es beginnt, an seiner eigenen Realität zu zweifeln. Das Opfer wird verwirrt und fühlt sich oft hilflos und abhängig vom Narzissten, der sich als einzige Quelle der Wahrheit darstellt. Diese Form der Manipulation kann das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl des Opfers erheblich beschädigen.

Ein weiteres typisches Verhalten ist die Devaluierung. Nachdem das Opfer idealisiert und in eine Abhängigkeit gebracht wurde, beginnen die Narzissten, das Opfer abzuwerten und zu kritisieren. Dies geschieht oft auf subtile Weise, sodass das Opfer sich ständig bemüht, die frühere Anerkennung und Zuneigung zurückzugewinnen. Diese Abwertung kann in Form von ständigen Kritiken, emotionaler Kälte oder auch durch das Vorenthalten von Liebe und Zuneigung erfolgen.

Praxisfall 1

Ein Beispiel aus meiner Praxis zeigt, wie tiefgreifend narzisstische Gewalt wirken kann. Eine Klientin berichtete, dass ihr Partner sie anfangs auf ein Podest stellte und sie mit Aufmerksamkeit überschüttete. Doch nach einiger Zeit begann er, sie ständig zu kritisieren und klein zu machen. Sie zweifelte immer mehr an sich selbst und ihrer Wahrnehmung, bis sie das Gefühl hatte, ohne ihn nicht mehr existieren zu können. Diese Manipulation führte zu einer schweren emotionalen Abhängigkeit und einem enormen Verlust ihres Selbstwertgefühls. Mit Freundinnen konnte sie nicht darüber sprechen, weil er sie zum einen erfolgreich von ihrem Umfeld isoliert hatte; zum anderen, weil ihr beim Sprechen immer wieder auffiel, wie wirr und unlogisch ihre eigenen Worte  klangen. Nur im Kontakt mit dem Narzissten hatten ihre Worte Sinn ergeben – ohne die Wolke des Einflusses war alle Logik dahin.

Es ist wichtig zu erkennen, dass narzisstische Gewalt nicht nur in romantischen Beziehungen vorkommt. Sie kann in Familien, Freundschaften und sogar am Arbeitsplatz auftreten. Außerdem sind sie unter beiden Geschlechtern nahezu gleich verteilt.

Ursache-Wirkungs-Zusammenhang

Hochsensible Menschen verfügen über eine außergewöhnliche Empathie und Feinfühligkeit. Diese Eigenschaften machen sie zu liebevollen und verständnisvollen Partnern, können aber auch dazu führen, dass sie sich von den starken, charismatischen Persönlichkeiten der Narzissten angezogen fühlen.

Weil Hochsensibilität an sich schon eine Hochbegabung ist, umgeben sich Narzissten gerne mit Hochsensiblen. Auf diese Weise werden ihre Bedürfnisse intuitiv von dem HSP gestillt. Gleichzeitig werden sie aber nicht in den Schatten gestellt, da die HSP von klein auf eher vorsichtig auftreten.

Narzissten scheinen anfangs oft charmant, selbstbewusst und attraktiv – Eigenschaften, die besonders für hochsensible Menschen faszinierend sein können. Außerdem wissen sie genau, was sie zu anderen Menschen sagen müssen, damit sich ein wohliges „endlich werde ich gesehen“-Gefühl einstellt.

Ein zentraler Aspekt des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs ist die bereits in der Kindheit entstandene Prägung. Hochsensible Menschen, die in einem Umfeld aufgewachsen sind, in dem ein Elternteil narzisstisch war oder emotionale Instabilität herrschte, haben häufig gelernt, ihre Bedürfnisse zurückzustellen, um den Frieden zu wahren und Konflikte zu vermeiden.

Diese erlernte Anpassungsfähigkeit kann im Erwachsenenalter dazu führen, dass sie in Beziehungen unbewusst ähnliche Dynamiken suchen und anwenden, die ihnen vertraut sind. Sie hoffen, durch ihre Empathie und Sensibilität den Partner „heilen“ oder die Beziehung harmonisch gestalten zu können, was sie anfällig für narzisstische Manipulation macht.

Praxisfall 2

Ein weiteres Beispiel aus meiner Praxis zeigt, wie dieser Zusammenhang im täglichen Leben aussieht. Ein Klient berichtete, dass er sich immer wieder in Beziehungen mit narzisstischen Partnerinnen wiederfand. Er erkannte, dass seine ständige Bereitschaft, sich anzupassen und die Bedürfnisse seiner Partnerin über die eigenen zu stellen, auf tief verwurzelte Muster aus seiner Kindheit zurückzuführen waren. Seine Mutter war narzisstisch und er hatte gelernt, ihre Launen zu antizipieren und sich so zu verhalten, dass Konflikte minimiert wurden. Diese Muster setzte er unbewusst in seinen romantischen Beziehungen fort.

Der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zeigt sich auch darin, dass hochsensible Menschen oft das Bedürfnis haben, gemocht und akzeptiert zu werden. Narzissten nutzen diese Bedürfnisse geschickt aus, indem sie anfänglich Bewunderung und Aufmerksamkeit schenken, um dann, sobald das Opfer emotional abhängig ist, die Kontrolle zu übernehmen und manipulative Taktiken anzuwenden.

Dieser Kreislauf der Manipulation und emotionalen Abhängigkeit kann für hochsensible Menschen besonders verheerend sein, da ihre tiefen Gefühle und ihre Fähigkeit, intensiv zu lieben, ausgenutzt werden. Die ständige Anpassung und das Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse führen oft zu einem erheblichen Verlust des Selbstwertgefühls und zu emotionaler Erschöpfung.

Auswirkungen im täglichen Leben

Narzisstische Gewalt hinterlässt tiefe Spuren im täglichen Leben hochsensibler Menschen. Eine der offensichtlichsten Auswirkungen ist das ständige Gefühl der Unsicherheit und des Zweifelns an der eigenen Wahrnehmung und den eigenen Gefühlen.

Dazu gesellt sich eine emotionale Erschöpfung. HSP nehmen die ständige Manipulation und die emotionalen Schwankungen des Narzissten sehr intensiv wahr. Die feinen Antennen werden noch sensibler justiert und lösen dadurch noch mehr Alarme im Nervensystem aus. Dies führt zu einem dauerhaften Stresszustand, der körperliche und psychische Erschöpfung zur Folge haben kann. Betroffene berichten oft von Schlafstörungen, Angstzuständen und sogar depressiven Verstimmungen, die ihren Alltag erheblich beeinträchtigen.

Die sozialen Auswirkungen sind ebenfalls beträchtlich. Hochsensible Menschen, die in narzisstischen Beziehungen gefangen sind, isolieren sich oft zunehmend von ihrem sozialen Umfeld. Dies geschieht sowohl auf Druck der Narzisstin, welche die Kontrolle behalten will, als auch aus Scham und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden. Diese Isolation verstärkt das Gefühl der Abhängigkeit von der narzisstischen Partnerin und erschwert es, Unterstützung und Hilfe zu suchen.

Ein weiteres Problem sind die gestörte Selbstwahrnehmung und das angegriffene Selbstwertgefühl. Hochsensible Menschen, die ständig abgewertet und kritisiert werden, verlieren oft den Glauben an ihre eigenen Fähigkeiten und ihren Wert. Sie beginnen, die negativen Botschaften des Narzissten zu internalisieren und sich selbst als unzulänglich und wertlos zu empfinden. Dieser negative Selbstblick kann weitreichende Konsequenzen für alle Lebensbereiche haben, von der beruflichen Leistung bis hin zu zwischenmenschlichen Beziehungen.

Darüber hinaus können die ständige Anpassung und das Zurückstellen eigener Bedürfnisse dazu führen, dass hochsensible Menschen den Kontakt zu sich selbst und ihren eigenen Wünschen verlieren. Sie leben in einem permanenten Zustand des Reagierens und versuchen, die Bedürfnisse und Launen des Narzissten zu erfüllen, während ihre eigenen Bedürfnisse ungehört und unerfüllt bleiben. Diese Vernachlässigung der Selbstfürsorge kann langfristig zu einem Gefühl der Entfremdung von sich selbst und zu einer tiefen inneren Leere führen.

Bewältigungsstrategien und Hilfe

Die Bewältigung der Situation ähnelt in den Grundzügen denen eines Verlustes:

Erkennen: Es ist nicht so, wie ich es mir gewünscht und wie ich es verdient habe. Ich bin nie wirklich geliebt worden und es wird sich nie ändern. Mir wurde etwas vorgespielt.

Trauern: Es hätte so schön sein können, wenn er/sie bereit gewesen wäre, sich auf eine kleine Justierung unserer Beziehung einzulassen. Dass er/sie das nicht möchte, ist ein großer Schmerz. Ich bin wieder allein, muss mich erneut auf die Suche machen.

Akzeptieren: Ich kann nicht machen, dass er/sie sich verändert. Ich darf mir selbst treu sein und für mich sorgen. Ich bin wertvoll und ich habe eine Beziehung auf Augenhöhe verdient. Ich übernehme jetzt Verantwortung und ziehe eine Grenze. Nur ich kann mich schützen, niemand sonst tut es für mich.

Es ist ein langer Weg, sich aus narzisstischem Missbrauch zu befreien.

Er geht vom Erkennen bis zum Akzeptieren der Situation. Doch es ist meist kein gerader Weg, sondern er besteht aus vielen Schlaufen und Wiederholungen.

Hochsensible Menschen dürfen sich bewusst machen, dass sie nicht schuld an der narzisstischen Gewalt sind, und dass ihre Empathie und Sensibilität keine Schwächen sind, sondern wertvolle Eigenschaften. Dieses Bewusstsein ist der Grundstein für jeden weiteren Heilungsprozess.

Ein wesentlicher Aspekt der Bewältigung ist die Suche nach professioneller Hilfe. Therapeutische Unterstützung, speziell von Therapeuten, die Erfahrung mit narzisstischem Missbrauch haben, kann entscheidend sein. In der Therapie können Betroffene lernen, die manipulativen Taktiken des Narzissten zu verstehen und zu verarbeiten. Ein sicherer Raum, in dem sie ihre Erfahrungen teilen können, ohne verurteilt zu werden, hilft ihnen, ihre Gefühle zu ordnen und auf Verständnis zu stoßen.

Wichtige Säulen meiner Therapie für hochsensible KlientInnen sind:

Den Selbstwert aufbauen: Kinder, denen nie ein Wert zugesprochen wurde, dürfen (spätestens) als Erwachsene lernen, wie wertvoll und wichtig sie eigentlich sind. Dazu gehört auch, ein positives Selbstbild aufzubauen und negative Glaubenssätze aufzulösen.

Säulenarbeit: Menschen, die ihr Leben auf nur eine Person ausgerichtet haben, leben in einem Turm. Fällt dieser Mensch weg, bricht der ganze Turm zusammen. Deshalb ist es sinnvoll, sein Lebenshaus auf mehrere Säulen zu stellen, die auch dann noch tragen, wenn eine Säule vorübergehend wackelt.

Grenzen setzen: Hochsensible Menschen dürfen lernen, ihre Grenzen zu erkennen und zu respektieren. Das bedeutet, „Nein“ sagen zu können, ohne Schuldgefühle zu empfinden, und sich gegen manipulative Verhaltensweisen zur Wehr zu setzen. Dies erfordert Übung und Selbstvertrauen, kann aber durch therapeutische Unterstützung gestärkt werden.

Rückfallprophylaxe: Meistens haben HSP erlebt, dass sie an narzisstischen Menschen kleben bleiben und sich verletzende Muster wiederholen. Es ist wichtig, genug Handwerkzeuge zu erlernen, damit diese ungesunden Wiederholungen ausbleiben und die Klienten bewusst eine andere Richtung einschlagen können.

Ich integriere in meine Arbeit Ansätze der Polyvagal-Theorie (Im Kern erklärt die Theorie, wie das autonome Nervensystem auf Bedrohungen reagiert und wie diese Reaktionen unser Verhalten beeinflussen.) Ich finde es essenziell, dass Menschen ihr eigenes Nervensystem kennen lernen. Dies ist aus meiner Sicht die Basis dafür, um sich selbst regulieren zu lernen.

Hochsensible Menschen können üben, Techniken anzuwenden, die ihnen helfen, sich aus einem Zustand der dorsalen Aktivierung (Lähmung und Erstarrung) in einen Zustand von Ruhe und gefühlter Sicherheit zu bewegen. Dies kann durch Körperübungen, Atemtechniken und andere somatische Ansätze erreicht werden, die das autonome Nervensystem beruhigen und stabilisieren. Viel Erfolg konnte ich mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) erzielen, bei dem traumatische Inhalte integriert werden und ihnen somit der Stachel genommen wird.

Die Bewältigung der Folgen narzisstischer Gewalt ist ein langer und oft herausfordernder Prozess, aber mit der richtigen Unterstützung und den passenden Strategien können hochsensible Menschen lernen, sich zu schützen, zu heilen und ein erfülltes Leben zu führen. Es ist ein Weg zu mehr Selbstbewusstsein, innerer Stärke und emotionaler Freiheit.

healthstyle


Über die Autorin Christina Benner:

Heilpraktikerin für Psychotherapie, EMDR-Therapeutin, humorvoll-provokative Therapeutin, Sozialpädagogin.

Dozentin für:
Heilpraktiker für Psychotherapie, Ausbildung (HPP), Narzissmus und Opfer narzisstischer Gewalt, therapeutisches Schreiben, Journaling, Trauerbegleitung, Embodiment-Therapie

Beitragsbild: © Victor Moussa - Adobe Stock

Weitere Literaturtipps* zum Thema:

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