Hoffnung schöpfen

Dr. Utz Anhalt

Unter Hoff­nung ver­ste­hen wir heu­te eine posi­ti­ve Erwar­tungs­hal­tung, gemein­hin, ohne dass dazu ein objek­ti­ver Grund besteht. Sie stellt so das Gegen­teil von Ver­zweif­lung dar und hängt doch eng mit die­ser zusam­men. In der Regel hof­fen wir, wenn etwas nicht gewiss ist oder sogar, wenn prak­ti­sche Metho­den, ein Ziel zu errei­chen, ver­sagt haben. Wie über­win­den wir aber Ver­zweif­lung und schöp­fen Hoff­nung?

Hoffnung schöpfen – ein Überblick

► Hof­fen beschreibt eben­so einen akti­ven wie einen pas­si­ven Zustand.

► Aktiv hof­fen bedeu­tet, ein wich­ti­ges Ereig­nis, Gescheh­nis oder Ziel am Hori­zont zu sehen, zu wün­schen, dass die­ses ein­tritt, dar­an auch zu glau­ben; aber die eige­nen, beschränk­ten Mög­lich­kei­ten, es zu errei­chen, zu ken­nen.

► Hof­fen kann die Selbst­hei­lung des Kör­pers för­dern.

► Wer aktiv ist, sucht nach unkon­ven­tio­nel­len Wegen, um sein Ziel zu errei­chen. Aktiv hof­fen moti­viert.

► Wer pas­siv hofft, ver­sperrt sich hin­ge­gen eige­ner Akti­vi­tät, eine pre­kä­re Situa­ti­on even­tu­ell zu ver­bes­sern.

Hüpfen und zappeln

Hof­fen stammt vom nie­der­deut­schen Wort „hopen“, was hüp­fen bedeu­tet, deut­lich noch heu­te im eng­li­schen „hop“. Über­tra­gen hüpft also der Hof­fen­de in freu­di­ger Erwar­tung auf etwas Kom­men­des. Er steht der Zukunft posi­tiv gegen­über, im Unter­schied zum Hoff­nungs­lo­sen, dem die Zukunft schwarz erscheint.

Wäh­rend Ver­zweif­lung das Gegen­stück zur Hoff­nung dar­stellt, beglei­ten Angst und Sor­ge unse­re Hoff­nun­gen.

Sel­ten ist Hoff­nung abso­lut, zur Erwar­tung, dass die Zukunft posi­tiv aus­fällt, gesellt sich die Angst, dass die­se Hoff­nung trü­gen könn­te.

Unbe­rech­tig­te Hoff­nun­gen bezeich­nen wir als Illu­sio­nen. Hoff­nung lei­tet auf ein Ziel hin, sie bedeu­tet Ver­trau­en, das mit einem sub­jek­ti­ven Inter­es­se an erfreu­li­chen Mög­lich­kei­ten der Zukunft ein­her­geht.

Das Prinzip Hoffnung

Hoff­nung im reli­giö­sen Sinn gehört zu den Leit­mo­ti­ven des Chris­ten­tums und geht hier mit fes­tem Glau­ben an den all­mäch­ti­gen Gott ein­her. Im 20. Jh. defi­nier­te hin­ge­gen Ernst Bloch Hoff­nung phi­lo­so­phisch.

Bloch sieht Hoff­nung zwar auch als eine in die Zukunft gerich­te­te Erwar­tung, die aus dem bio­lo­gi­schen Antrieb zur Selbst­er­hal­tung resul­tiert, geht aber dar­über hin­aus. Denn in der Hoff­nung ver­bän­de sich die­se Erwar­tung mit der reflek­tie­ren­den Ver­nunft, die gewünsch­ten Zie­le auch in der Rea­li­tät zu errei­chen. Die­se Art von Hoff­nung ist kein pas­si­ves Unter­wer­fen unter einen fik­ti­ven Gott, son­dern ein akti­ves Han­deln in der Welt. Sie bedeu­tet, sich mit einem Pro­blem aus­ein­an­der­zu­set­zen, Ver­än­de­run­gen zu suchen und Hand­lun­gen ein­zu­lei­ten, um das Pro­blem zu behe­ben. Für Fried­rich Nietz­sche war Hoff­nung hin­ge­gen das Übels­te der Welt, weil sie die Qua­len der Men­schen ver­län­ge­re.

Heutige Definitionen

Der­zei­ti­ge Defi­ni­tio­nen von Hoff­nung stim­men in den wesent­li­chen Punk­ten dar­in überein, dass Hoff­nung

► posi­tiv besetzt ist,

► sich auf die Zukunft bezieht,

► für den Hof­fen­den rea­lis­tisch erscheint, unab­hän­gig davon, ob ande­re dies auch so beur­tei­len und dass die Rea­li­sie­rung gro­ße Mühen in Anspruch näh­me.

► Man­che Psy­cho­the­ra­peu­ten sehen Hoff­nung ver­bun­den mit Selbst­kom­pe­tenz als Mög­lich­keit, das eige­ne Poten­zi­al aus­zu­schöp­fen, im Sin­ne des „Glau­be an dich selbst“.

► Ande­re Kon­zep­te ver­or­ten Hoff­nung tran­szen­dent als „Schick­sal“, „kos­mi­sche Kraft“, den christ­li­chen Gott, eine meta­phy­si­sche Gerech­tig­keit oder im Glau­ben an den tech­ni­schen Fort­schritt. Hier gibt es noch Unter­schie­de zwi­schen einem pas­si­ven Erwar­ten von Heil oder dem (magi­schen) Glau­ben, die­se „kos­mi­schen Kräf­te“ gezielt anzap­fen zu kön­nen.

► Tra­di­tio­nel­le Vor­stel­lun­gen bezeich­nen mit Hoff­nung eine aus­dau­ern­de, dabei aber pas­si­ve inne­re Hal­tung, also das War­ten auf Hil­fe von außen.

Motivation

Charles Richard Sny­der unter­such­te in den 1980er-Jah­ren, was Hof­fen psy­chisch aus­löst. Dem­nach sei Hof­fen mit Nach­den­ken über Zie­le ver­knüpft und bedin­ge so die Ent­schlos­sen­heit, die­se Zie­le in Angriff zu neh­men. Hin­zu käme der Opti­mis­mus, Wege zu fin­den, um die­se Zie­le zu errei­chen.

Er ver­mu­te­te, dass Hof­fen Men­schen antrei­be, sich auf ihr Ziel zu kon­zen­trie­ren. Hoff­nungs­vol­le lie­ßen sich weni­ger ent­mu­ti­gen. Kämen sie nicht wei­ter, such­ten sie nach alter­na­ti­ven Pfa­den, statt auf­zu­ge­ben. In die­ser Defi­ni­ti­on geht Hof­fen ein­her mit Moti­va­ti­on. Hoff­nungs­lo­sig­keit füh­re hin­ge­gen dazu, Zie­le auf­zu­ge­ben und sich alter­na­ti­ven Lösun­gen zu ver­wei­gern. Sny­der bezog sich dabei dar­auf, dass hoff­nungs­star­ke Stu­die­ren­de bes­se­re Noten hät­ten und ihr Stu­di­um bes­ser abschlös­sen.

Sny­ders Ansatz wur­de in der Fol­ge kri­ti­siert, da sein Hoff­nungs­be­griff kei­ne inhalt­li­che Tren­nung von Ter­mi­ni wie Opti­mis­mus, Selbst­kon­trol­le oder Glau­ben an sich selbst zulas­se. Zudem klam­me­re er Hoff­nun­gen aus, die Men­schen gera­de dann hät­ten, wenn kei­ne Mög­lich­keit in Sicht sei, gesetz­te Zie­le zu errei­chen – ein Ansatz, auf den Nietz­sche sich bezog, nach dem Hoff­nung gera­de dann ein­set­ze, wenn es kei­ne ratio­na­le Mög­lich­keit gäbe, eine Situa­ti­on zu ver­bes­sern.

Ein Erwartungsgefühl

Psy­cho­lo­gisch ist Hof­fen eine Erwar­tungs­emo­ti­on. Wenn wir uns ein zukünf­ti­ges Gescheh­nis vor­stel­len, ent­wirft unser Gehirn ein alle­go­ri­sches Modell davon, im Posi­ti­ven wie im Nega­ti­ven – unab­hän­gig von einer „objek­ti­ven Rea­li­tät“. Das kann auch ein Angst­bild sein – hier wäre die Erwar­tung nega­tiv. Das Hoff­nungs­ge­fühl bedeu­tet jetzt zum einen die Über­zeu­gung, dass dies posi­ti­ve Gescheh­nis mög­lich erscheint und zwei­tens ent­springt es dem Wunsch, dass es ein­tritt. Auf das Hoff­nungs­ge­fühl trifft typi­scher­wei­se auch zu, dass der Wün­schen­de kei­nen oder nur wenig Ein­fluss auf die­ses Gesche­hen hat. Das gilt zum Bei­spiel für einen Arzt, der über einen krebs­kran­ken Pati­en­ten sagt, „es besteht Hoff­nung“ und damit zugleich glaubt, dass der Krebs aus­heilt und sich die­se Hei­lung wünscht, aller­dings weiß, dass sei­ne eige­nen Mög­lich­kei­ten, dazu bei­zu­tra­gen, beschränkt sind.

Motivierend oder demotivierend?

Ob Hof­fen einen Men­schen moti­viert oder demo­ti­viert, liegt ent­we­der an sei­ner akti­ven oder pas­si­ven Erwar­tungs­hal­tung. Ers­te­re för­dert die Moti­va­ti­on, indem sie nega­ti­ve Erwar­tun­gen aus­blen­det und den Betrof­fe­nen inspi­riert, Infor­ma­tio­nen zu sam­meln, die das Erhoff­te mög­lich machen – sogar dann, wenn kon­ven­tio­nel­le Metho­den ver­sag­ten.

Pas­siv hof­fen kann jedoch zum genau­en Gegen­teil füh­ren. Statt selbst aktiv zu agie­ren, war­ten die Hof­fen­den auf etwas, das außer­halb ihrer Kon­trol­le liegt. Dies betrifft beson­ders die reli­giö­se Hoff­nung, bei der ein über­na­tür­li­ches Wesen es schon rich­ten wird. Dies gilt auch für das Hof­fen im Sin­ne von Illu­sio­nen machen, wenn ledig­lich das gewünsch­te Ziel vor Augen steht, aber die Hof­fen­den gera­de kei­ne Schrit­te ein­lei­ten, um es her­bei­zu­füh­ren.

Kenn­zei­chen von Hof­fen sind dabei, dass das zukünf­ti­ge Gescheh­nis für die Hof­fen­den ers­tens eine gro­ße Bedeu­tung hat, zwei­tens durch eige­ne Arbeit nur schwer erreicht wer­den kann und drit­tens, dass die Betrof­fe­nen Gefüh­le und Gedan­ken in das Ergeb­nis inves­tie­ren, auch wenn die Aus­sicht, dass es ein­tritt, in Zwei­fel steht.

Wie kann sich Hoffen positiv auswirken?

Aktiv hof­fen wirkt sich, Stu­di­en zufol­ge, posi­tiv auf den beruf­li­chen Erfolg aus und för­dert das Errei­chen von hoch gesetz­ten Zie­len, an der Uni wie im Sport. Hof­fen för­dert das Wohl­be­fin­den auch in pre­kä­ren Situa­tio­nen. Es mobi­li­siert die Selbst­hei­lung des Kör­pers, ähn­lich wie ein Pla­ce­bo.

Hoffen – ein zweischneidiges Schwert

Aktiv hof­fen, also ein Ziel im Auge zu haben trotz äuße­rer Wider­stän­de, för­dert das Errei­chen die­ses Ziels. Hof­fen schafft die Aus­dau­er, die nötig ist, ein Ziel über län­ge­re Zeit zu ver­fol­gen. Indes­sen gehört zum Gelin­gen eines Pro­jek­tes auch das kri­ti­sche Ein­schät­zen der Rea­li­tät. Wer sich an sein Hof­fen und Wün­schen klam­mert, kann auch in den Abgrund rut­schen, weil er den Punkt ver­passt, an dem er von einem aus­sichts­lo­sen Ziel ablas­sen muss.

Auch akti­ves Hof­fen führt zum selek­ti­ven Wahr­neh­men. Wir regis­trie­ren nur noch das, was uns in Rich­tung des ange­streb­ten Ziels posi­tiv erscheint und blen­den Beden­ken aus. Das funk­tio­niert zwar bis zu einem bestimm­ten Grad als eine not­wen­di­ge Siche­rung des Gehirns, um nicht in Angst zu erstar­ren und han­deln zu kön­nen, geht aber naht­los in Selbst­täu­schung über. Der kri­ti­sche Punkt ist dann erreicht, wenn wir neue Erkennt­nis­se, die unse­rem posi­tiv gefärb­ten Bild wider­spre­chen, aus­blen­den oder sogar bekämp­fen.

Hoffnung in Krisen schöpfen

In einer Lebens­kri­se kom­men Men­schen schnell an den Punkt, an dem „nichts mehr geht“. Ver­zweif­lung brei­tet sich aus, wir füh­len uns unfä­hig, aus eige­ner Kraft jemals aus der Situa­ti­on her­aus­zu­kom­men. Hier kann akti­ves Hof­fen zwar kei­ne Wun­der bewir­ken, uns aber lei­ten, die Kri­se zu bewäl­ti­gen.

Ver­zweif­lung mag zwar sei­ne Berech­ti­gung haben, stellt aber, eben­so wie Hof­fen, erst ein­mal ein sub­jek­ti­ves Gefühl dar, unab­hän­gig davon, ob die „objek­ti­ve Situa­ti­on“ wirk­lich zum Ver­zwei­feln ist. Hof­fen eig­net sich, um eine Kri­se zu bewäl­ti­gen, para­do­xer­wei­se, weil wir vor­erst nichts tun müs­sen, als an einen posi­ti­ven Aus­gang zu glau­ben.

Zu hof­fen begin­nen wir dann, wenn in uns Ver­zweif­lung auf­kommt. Wir ste­cken mit­ten­drin im schwar­zen Loch: nach der Tren­nung von unse­rem Part­ner, nach dem Ver­lust des Arbeits­plat­zes oder der Woh­nung. Wäh­rend wir Gefahr lau­fen, in unse­rem Leid ste­cken zu blei­ben, zeigt uns das Hof­fen eine Per­spek­ti­ve. Das ist die wich­tigs­te Funk­ti­on. Das ersehn­te Ziel leuch­tet am Hori­zont und zeigt uns, dass das gegen­wär­ti­ge Tief in der Zukunft nicht ewig andau­ern muss.

Wenn ich also die Hoff­nung habe, dass bald wie­der ein ande­rer Zustand ein­tritt, trop­fen lang­sam, aber sicher die Ideen und Gedan­ken, was ich tun kann, um die­sen Zustand zu errei­chen.

Woraus können wir Hoffnung schöpfen?

Um Hoff­nung zu schöp­fen, bedarf es kei­nes reli­giö­sen Glau­bens. Als hilf­reich erweist sich indes­sen, wenn Sie Ethik und Wer­te ver­in­ner­licht haben. Denn die­se bie­ten Ihnen einen Halt und hel­fen, nicht den Mut zu ver­lie­ren.

Hoff­nung schöp­fen kön­nen wir also am bes­ten aus einem huma­nis­ti­schen Koor­di­na­ten­sys­tem und dem Bestre­ben, in einer lebens­wer­ten Welt zu leben. Denn Hof­fen bedeu­tet, dar­auf zu ver­trau­en, dass Sinn in dem liegt, was wir tun. Dem­nach steht der Ein­satz für eine huma­ne Gesell­schaft der Ver­zweif­lung eben­so ent­ge­gen wie die Hoff­nungs­lo­sig­keit.

Mehr zum Thema

Ernst Bloch: Werk­aus­ga­be: Band 5: Das Prin­zip Hoff­nung. Frank­furt am Main 1985

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Über den Autor

Dr. Utz Anhalt

Dr. Utz Anhalt: 1991 Geschich­te und Poli­tik Schwer­punkt his­to­ri­sche Anthro­po­lo­gie von Mensch und Wild­tier, 1999 Magis­ter über den Wer­wolf­my­thos, 2007 Dok­tor der Phi­lo­so­phie über die Geschich­te der Zoos. Dozent, Publi­zist und Autor unter ande­rem für Muse­um aktu­ell, Expot­ime, Nau­ti­lus — Maga­zin für Aben­teu­er und Phan­tas­tik, Miro­que, Kar­fun­kel, Zil­lo Medieval, Der Fall, Sitz-Platz-Fuß, Sopos, Jun­ge Welt, Frei­tag, TAZ, ND, Frank­fur­ter All­ge­mei­ne. Redak­teur bei Heilpraxisnet.de.

Kon­takt: www.utzanhalt.de

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