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Nicole Regli
Wenn die Sehnsucht zur Belastung wird
Ein Kind haben, ihm Liebe geben, seine Entwicklung erleben – für viele Paare gehört die Familiengründung zur festen Vorstellung vom gemeinsamen Glück. Lässt das Wunschkind auf sich warten, schlägt die Vorfreude oft in Sorge um: Was, wenn es überhaupt nicht klappt, wenn der Traum nicht in Erfüllung geht? Je länger das Warten dauert, desto größer wird der Druck. Doch Stress, negative Glaubensmuster und unbewusste Ängste können zum inneren Hindernis für eine Schwangerschaft werden.
Ein Gastbeitrag von Nicole Regli
Wieder ist der Schwangerschaftstest negativ, wieder hat sich die Hoffnung nicht erfüllt. Wenn eine Frau auch nach einem Jahr ohne Verhütung nicht schwanger wird, obwohl sie Mutter werden möchte, dann ist sie laut WHO ungewollt kinderlos. Das gilt weltweit für jedes sechste Paar. In Deutschland bleibt der Kinderwunsch nach Angaben des Bundesfamilienministeriums bei fast jedem zehnten Paar im Alter zwischen 25 und 59 unerfüllt. Hinter den nüchternen Zahlen stehen Frauen und Männer, denen die Ungewissheit, ob sie jemals ein eigenes Baby in den Armen halten dürfen, schwer zu schaffen macht. Für viele Frauen bricht eine Welt zusammen, wenn sie das ersehnte Baby nicht bekommen.
Vielleicht kennst du es auch: Alle Gedanken beginnen, sich um dieses Thema zu drehen, der Kinderwunsch wird zur Obsession und bestimmt das ganze Leben. Sex nach Plan, gesunde Ernährung, Verzicht auf Alkohol und Kaffee – selbst eure Urlaubsplanung richtet ihr nach einer möglichen Schwangerschaft aus. Auf der Straße siehst du nur noch Babybäuche und Kinderwagen, der Neid frisst dich schier auf. Warum, fragst du dich, wird meine Freundin schwanger und ich nicht, was stimmt nicht mit mir?
Medizinische und andere Ursachen
Eine frauenärztliche Untersuchung, z.B. in einem Kinderwunschzentrum, bringt Klarheit darüber, ob es eine organische Ursache für die befürchtete Unfruchtbarkeit gibt. Das ist auch sinnvoll, ganz besonders dann, wenn die Frau über 35 Jahre alt ist. Denn Eizellen entstehen im Körper bereits vor unserer Geburt, reifen mit uns und werden mit uns älter. Ab 30 nimmt die Wahrscheinlichkeit für eine spontane Schwangerschaft allmählich ab. Frauen ab 35 sollten deshalb mit der Ursachenklärung nicht zu lange warten. Je früher klar ist, woran es liegt, desto mehr Zeit bleibt zum Handeln. Auch bei Männern lässt die Fruchtbarkeit nach, aber erst ab 40 Jahren und nicht so stark. Grund dafür ist, dass Spermien sich im Gegensatz zu den Eizellen erneuern.
Mit dem Besuch in der Arztpraxis oder im Kinderwunschzentrum wird der Stress häufig noch stärker. Jetzt wird nicht mehr nur darauf gewartet, dass endlich der Schwangerschaftstest positiv ausfällt, jetzt kommt das Warten auf Untersuchungsergebnisse dazu. Je nach Paar sind verschiedene Tests nötig. Das kann dauern. Im Kopf drehen sich die Gedanken derweil in Dauerschleife: Fruchtbar, ja oder nein? Behandelbar oder nicht? Was tun, wenn …? Dabei ist es nicht sicher, dass eine Ursache für die ungewollte Kinderlosigkeit gefunden wird. In zehn bis zwanzig Prozent aller Fälle steht am Ende des Abklärungsprozesses noch immer ein Fragezeichen.
Nur eine Momentaufnahme: Die Diagnose
Und wenn es eine klare Diagnose gibt, wie z.B. die Hormonstörung PCO-Syndrom oder verklebte Eileiter? Dann wird dieses Ergebnis nach meiner Erfahrung von Paaren mit Kinderwunsch ganz anders wahrgenommen als z.B. bei einem anderen Menschen der Befund Lungenentzündung. Da ist die Reaktion: Okay, das wird jetzt behandelt, das geht vorbei, ich werde wieder gesund. Die Diagnose ist eine Momentaufnahme, aber nichts, was das ganze Leben bestimmt. Anders beim Kinderwunsch. Anstatt zu denken: „Ich habe im Moment verklebte Eileiter und gehe davon aus, dass sich mein Körper verändern kann und heilen wird“, kommt Endzeitstimmung auf – und mit ihr verbunden schädliche Angst. Also noch mehr Stress. Kinderwunschbehandlungen, gerade wenn sie sich lange hinziehen, werden von den meisten Frauen nicht nur als körperlich, sondern außerdem als psychisch belastend empfunden.
Stress machen sich viele Frauen aber auch und gerade dann, wenn es keine organische Ursache dafür gibt, dass sie nicht schwanger werden. Das Versagensgefühl kann dann sogar schlimmer sein und von Monat zu Monat anwachsen. Der Blick aufs Leben wird zum Tunnelblick auf den Eisprungtracker und den Schwangerschaftstest. Schließlich gibt es keinen Grund, dass es nicht klappt mit dem Baby. Kennst du das auch? Dann stehst du unter enormem Druck und bist ständig gestresst.
Hormonelle Achterbahnfahrt: Stress und Zyklus
Chronischer Stress führt zu einer Überproduktion von Stresshormonen wie Cortisol. Diese Hormone stören die Balance anderer Hormone im Körper, einschließlich der Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron. Das kann zu Zyklusstörungen führen und den Eisprung beeinträchtigen. Indem er die hormonellen Prozesse, die für die Fortpflanzung notwendig sind, durcheinanderbringt, kann anhaltender Stress die Fruchtbarkeit hemmen.
Bei Stress, Druck und Angst fährt dein Körper auch das Immunsystem herunter. Alle Funktionen, die der Entwicklung und Entfaltung, der Zellvermehrung und der Zellheilung dienen, werden gestoppt. Das biologische System schaltet, gesteuert vom Sympathikus, auf nacktes Überleben um. Der gestresste Körper kann sich nicht um neues Leben kümmern. Sobald die Angst und der Stress verflogen sind, wird der Parasympathikus aktiv und beruhigt. Das Immunsystem, Heilung und Entfaltung erhalten wieder Raum.
Trotz der emotionalen Herausforderung, die die Kinderwunschzeit für dich bedeutet, ist es deshalb so wichtig, entspannt zu bleiben und deinen unerfüllten Kinderwunsch als Chance zu sehen. Du kannst daran wachsen.
Für eine starke Psyche: Den Stress reduzieren
Ich empfehle, dass du dir mindestens ein bis zwei Mal pro Woche bewusst Zeit für eine Meditation, liebevolle Affirmationen, ein heilsames Bad oder Yoga nimmst. Vielleicht auch nur eine halbe Stunde Ruhe in der Natur. Du weißt am besten, was dir guttut und was dich entspannt. Trag dir diese Auszeiten als Meeting mit dir selbst in den Kalender ein. Und gönne dir an jedem Tag fünf Minuten bewusstes und tiefes Ein- und Ausatmen.
Achte auf deine Gedanken
Wie denkst du über dich? Wie sprichst du mit dir? Achte einmal auf diese innere Stimme. Häufig laufen die negativen Gedanken im Unterbewusstsein mit und belasten die Kinderwunschzeit. Mache dir solche Gedanken bewusst, schreibe sie auf und dann drehe sie ins Positive. Ein Beispiel: Eine Kollegin von dir ist schwanger. Du denkst: „Ich schaffe das nicht“. Mache daraus: „Was sie kann, kann ich auch!“. Aus „Mein Körper ist nutzlos“ wird „Mein Körper gibt tagtäglich sein Bestes“, und so weiter. Deine Gedanken sollen dich positiv stärken, dir dein Selbstbewusstsein bewahren und dich schützen. Spiele das Umwandlungsspiel so lange, bis du dein Denken wirklich verändert hast.
Wenn es dir schwerfällt, deine Gedanken zu greifen und zu ordnen, dann schreibe sie auf. Die Kraft des geschriebenen Wortes wird dir helfen, wieder klarer zu denken und auch mal loszulassen. Du kannst dafür ein schönes Notizbuch mit deinem Lieblingsstift nutzen. Suche dir zum Schreiben einen Ort, an dem du dich sicher und wohl fühlst.
Lass deinen Körper deine Gefühle verändern
Dein Verstand und deine Gefühle sind mit deinem Körper verbunden. Veränderst du deine Körperhaltung, kannst du deinen Gefühlszustand beeinflussen und umgekehrt. Embodiment nennt sich eine noch junge Wissenschaft, die sich mit diesem Zusammenspiel befasst.
Probiere diese einfache Übung, die viele von uns als den „Hampelmann“ kennen: Aufrecht hinstellen, Füße nebeneinander, Arme seitlich neben dem Körper, Handflächen nach außen. Dann hochspringen, gleichzeitig die Beine nach außen spreizen und über dem Kopf in die Hände klatschen. Der Körper wird dabei groß und gerade, die Seele bekommt neue Energie und tankt Freude. Gerade die Freude ist zentral in der Kinderwunschzeit. Lachen stärkt dein Herz. Lächle jedes Mal, bevor du etwas trinkst oder isst fünf Sekunden lang.
Für erste Veränderungen durch die Körperhaltung reicht es manchmal schon, den Kopf zu heben. Denn unsere wichtigsten Sinnesorgane befinden sich alle am Kopf: Augen, Nase, Mund und Ohren. Hebst du den Kopf und hältst ihn aufrecht, nimmst du deine Umgebung mit allen Sinnen wahr, bekommst besser Luft und straffst automatisch die Schultern. Mit der Haltung eines optimistischen Menschen kannst du nicht traurig sein und weinen. Das heißt aber nicht etwa, dass Weinen schlecht ist. Im Gegenteil: Wenn du weinst, produziert dein Nervensystem beruhigende Stoffe, die Körper, Seele und Geist entspannen und aufbauen. Erlaube dir traurig zu sein und zu weinen.
Achtet auf euch als Paar
Wenn ihr in eurer Zweisamkeit und auch beim Sex nur noch euer zukünftiges Kind im Kopf habt und gar nicht mehr abschalten könnt, rate ich euch: Setzt euch mal hin bei einem leckeren Getränk und unterhaltet euch – klammert dabei den Kinderwunsch aus. Unternehmt etwas Schönes zu zweit. Genießt eure Zweisamkeit in vollen Zügen, anstatt sie als unvollkommen zu empfinden.
Fazit
Viele von uns sind im Alltag gewohnt, ein Ziel klar zu definieren und zu verfolgen. Schließlich werden wir mit Glaubenssätzen wie: „Wer hart arbeitet, erreicht sein Ziel“ großgezogen. Beim Kinderwunsch funktioniert das nicht. Denn auch wenn dein Wille unermesslich stark ist, wirst du damit allein dein „Zielprojekt Kind“ niemals erreichen. Mit deinem Willenskampf löst du nur noch mehr Druck und Stress auf dich selbst aus. Ich empfehle dir: Hör auf damit! Vertraue stattdessen dem Leben selbst und der Natur des Lebens. Wunder sind nicht kontrollierbar und steuerbar. Sie geschehen, wenn die Zeit und die Umstände reif sind.
Eine liebevolle Perspektive von außen kann Wunder wirken. Suche dir eine Psychologin oder einen Kinderwunschcoach. Jemanden, der dir kleine Inputs und Denkanstöße geben und dich bestärken kann. Du bist nicht allein mit deiner Sehnsucht nach einem Baby. Und du musst da nicht alleine durch!
Über Nicole Regli:

Während sich die Reproduktionsmedizin auf die körperliche Unvollkommenheit von Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch fokussiert, will Nicole Regli eine Brücke bauen zwischen dem sichtbaren Körper und den unsichtbaren Gefühlen. Sie ist ausgebildete Mental-Coachin und selbst vierfache Mutter. Seit über 15 Jahren begleitet sie Paare während ihres unerfüllten Kinderwunsches.
Webseite: www.nicoleregli.ch
Beitragsbild: © Alexander Mass - pexels.com, Autorenfoto: © Mädy Georgusis
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